Ein Gastbeitrag von Anna Wulf
Das steckt hinter der „Wunsch“-Praxis aus dem Yoga Nidra
Das Wort Sankalpa hast du vielleicht schon öfter gehört – vor allem im Zusammenhang mit deiner Yogapraxis. Aber was steckt dahinter? Der Begriff hat mehrere Bedeutungen: Die häufigsten Übersetzungen sind „Wunsch“, „Wille“‚ „Vorsatz“, „Verlangen“, „Entschluss“ und „Entscheidung“.
Auch wenn Sankalpa als Leitgedanke mittlerweile oft in den unterschiedlichsten Yogastunden genutzt wird, findet die Praxis der Verankerung eigener Vorsätze hauptsächlich im Yoga Nidra (Yoga-Heilschlaf – eine geführte Meditationstechnik) ihre Anwendung. Dort wird Sankalpa mit einem Samen verglichen, der in gute, fruchtbare Erde gelegt wird. Das innere Wiederholen des Sankalpas gleicht dem Gießen des Samens und dem Pflegen der Pflanze, damit sie wachsen und gedeihen kann.
Warum fokussiert man sich im Yoga Nidra auf ein Sankalpa?
In der Praxis des Yoga Nidra können wir einen Zustand erleben, in dem wir mit unserer innersten Essenz verbunden sind. Das sind Augenblicke der Ruhe und Stille, in denen das Unbewusste besonders aufnahmefähig und empfangsbereit für eine Autosuggestion ist. Sankalpa ist eine Autosuggestion, die wir uns selbst einprägen. Es ist ein selbstformulierter Vorsatz, der dem Geist eine Richtung zeigt, in die er sich entwickeln kann. Damit es funktioniert, muss dieser Entschluss authentisch mit unserem Inneren und Äußeren resonieren. Deswegen ist die Suche nach einem Sankalpa ein Prozess, der Wochen und manchmal sogar Monate in Anspruch nehmen kann.
Dein individuelles Sankalpa finden: Ein langer Prozess
Die Sankalpa-Findung vollzieht sich oft im Verborgenen und zielt eher auf ein inneres Wachstum ab und weniger auf die Erfüllung materieller Wünsche. Bei der Suche können uns Vorstellungen vom "Wunsch-Zustand" helfen: Ein Kranker wünscht sich, gesund zu sein, ein gestresster Mensch sehnt sich nach mehr Ruhe, jemand, der im Alltag viel zu kämpfen hat, möchte mehr Leichtigkeit,… Die Liste lässt sich endlos fortführen.
Ein Sankalpa ist im Wesentlichen die Antwort auf die Frage „Was ist mir im Leben wirklich wichtig?“ oder „Was möchte ich im Leben erreichen?“. Die Antwort auf diese Fragestellung ist von Mensch zu Mensch verschieden – deshalb ist ein Sankalpa etwas sehr Persönliches; eine Spur, der nur du selbst folgst. Bist du auf der Suche nach deinem Sankalpa, solltest du dich selbst nicht unter Druck setzen. Lasse dir Zeit, um deine Antworten zu sortieren. Es können zu Beginn so viele Wünsche sein, die erfüllt werden wollen – alle gleich wichtig - dass du sie erst „sieben“ musst.
Vielleicht wirst du dabei feststellen, dass du einerseits ein Lebensthema hast und andererseits auch ein kleineres Projekt, für das du gerade einen Entwicklungsschub brauchst. So wird zwischen einem Lebenssankalpa und einem kleinen Sankalpa unterschieden.
Ein Lebenssankalpa beinhaltet ein großes Lebensthema, das an Aktualität nicht verliert: Du hältst dein ganzes Leben hinweg daran fest.
Ein kleines Sankalpa kannst du für laufende Projekte nutzen: Welche Art Unterstützung brauche ich gerade, um voranzukommen? Welche Qualität könnte mir jetzt für Projekt XY helfen? Wichtig dabei ist, dass dein Sankalpa mit deinem inneren und äußeren Leben konform ist – dann ist der Geist willig, dein Sankalpa zu verwirklichen.
Wie formuliere ich ein Sankalpa?
Schritt 1:
Überlege dir, ob du auf der Suche nach einem Lebenssankalpa bist oder eine Unterstützung für ein kleineres Projekt brauchst (z. B. beim Beginn einer Selbstständigkeit, Entwicklung eines neuen Produkts, Jobwechsel, Umzug etc.)
Schritt 2:
Frage dich, wo du hin möchtest und warum. Was ist dir dabei besonders wichtig? Lasse dir ausreichend Zeit, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Versuche, Meditation, Yoga Nidra und Journaling in dein Leben zu integrieren – alles Praktiken, die das innere Wissen transparent machen.
Schritt 3:
Formuliere deinen Vorsatz in einen kurzen positiven Satz, der mit „Ich bin“ beginnt. Dann folgt die Beschreibung deines Wunschzustandes – ganz so, als wäre dein Wunsch schon in Erfüllung gegangen. Drei Beispiele: „Ich bin gesund.“ „Ich bin voller Lebensfreude.“ „Ich bin genug.“ Versuche, Worte zu finden, die dich beflügeln, sich intuitiv gut anfühlen und dir Mut machen.
Schritt 4:
Nun geht’s an die Praxis, damit dein Sankalpa wirken kann. Die besten Momente für die Verankerung deiner Absicht sind die der tiefen Kontemplation. Dieser Zustand kann durch Meditation oder Yoga Nidra erreicht werden.
Schritt 5:
Hast Du ein Sankalpa gefunden, so bleibe ein paar Monate dabei, um es wirken zu lassen und beobachte, was sich in deinem Leben verändert. Bereits nach drei bis vier Wochen der Praxis müsste die Wirkung des Sankalpas in deinem Alltag spürbar werden und Früchte tragen.
Schritt 6:
Es kann sein, dass ein bereits gewähltes Sankalpa geändert werden muss. Deswegen ist es enorm wichtig, die Wahrnehmung dafür zu schärfen, wie sich das Vorgenommene im Leben entwickelt. Ist es noch stimmig? Ist es so eingetreten, wie du es dir gewünscht hast? Fühlst du dich durch deinen Vorsatz gehetzt oder gestresst? Dann ist es Zeit, über ein anderes Sankalpa nachzudenken.
Ein Hinweis:
Ein Sankalpa behältst du immer nur für dich. Falls du Hilfe bei der Formulierung brauchst, kannst du jedoch mit einer lehrenden Person deines Vertrauens sprechen.
Brauche ich unbedingt ein Sankalpa, um in meinem Leben voranzukommen?
Nein, definitiv nicht.
In einigen Traditionen des Yoga Nidra ist die Arbeit mit Vorsätzen ein fester Bestandteil der Praxis. Du kannst es ausprobieren und auf dich wirken lassen. So habe ich es auch gemacht. Nach einigen Monaten habe ich allerdings gemerkt, dass mein Vorsatz mich eher gestresst hat, anstatt mir den Halt zu geben, den ich mir erhofft hatte. Ich fühlte mich im Alltag ruhelos und hatte Schwierigkeiten, meine Freizeit zu genießen. Also ließ ich mein Sankalpa weg.
Bei weiterer Beschäftigung mit dem Thema im Rahmen des Unterrichtens und bei meiner kürzlich absolvierten Yoga Nidra-Ausbildung hat sich mein Gefühl im Hinblick auf Sankalpa noch einmal bestätigt: Ich integriere es nicht mehr in meine Praxis. Denn der Gedanke an ein Sankalpa engt mich ein. Und dieses Gefühl kann ich mit der Idee der inneren Freiheit, die Yogapraxis in all ihren Formen für mich bedeutet, nicht in Einklang bringen. Das ist meine persönliche Empfindung und Erfahrung, die ich im Laufe der Jahre gemacht habe. Indem ich diese Erfahrung mit dir teile, möchte ich dich ermutigen, immer wieder zu hinterfragen, ob die Arbeit mit einem Sankalpa deine Praxis bereichert. Yoga Nidra entfaltet seine Wirkung auch ohne Absichten und Wünsche.
Anna Wulf
Anna wusste schon immer, dass Yoga ihr Zuhause ist. Nach dem Philologie-Studium in Hamburg absolvierte sie eine Yogalehrer-Ausbildung und unterrichtet seit 2006 Yoga und Meditation. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Erforschen des Seins und der Harmonisierung aller Aspekte der Persönlichkeit. Dafür nutzt sie nicht nur Yogatechniken im klassischen Sinne, sondern auch andere Wege und begleitet ihre SchülerInnen durch Yoga Nidra, Breathwork, Klang, Reiki und Ayurveda-Massagen. Annas nächste Yoga Nidra-Ausbildung beginnt im September 2023.
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