5-Minuten-Übung für Journaling-Anfänger: Lasse dein Unterbewusstsein sprechen
Schreiben hilft. Und zwar in so gut wie allen Lebenslagen: In stressigen Phase, um mehr Ruhe zu gewinnen. In Zeiten der Trauer, um seine Gefühle zu verarbeiten. Sowie zum Beispiel direkt vor einer Yogastunde, um deutliche Impulse für den eigenen Yoga-Unterricht zu gewinnen. Warum das Journaling so wirkungsvoll ist und wie sogar Schreib-Muffel und -AnfängerInnen davon profitieren können, verrät Schriftstellerin und Kursleiterin Johanna Kramer im Interview.
Liebe Johanna, wie bist du zum Journaling gekommen und wie sieht deine Routine aus?
Als Kind und Jugendliche habe ich schon immer viel Tagebuch geschrieben. Im Erwachsenenalter und mit dem Start ins Arbeitsleben ging das Journal jedoch leider völlig verloren. Dann starb meine Mutter als ich 28 Jahre alt war. Ich steckte in einer Krise, in der ich begann, mich zu fragen, was ich wirklich aus meinem Leben machen möchte. Damals arbeitete ich im Vertrieb eines Großkonzerns und wusste: Das kann nicht alles sein. Ich kündigte meinen Job. Ohne zu wissen, wohin die Reise für mich gehen würde. Eine Freundin schenkte mir damals zum Abschied ein Tagebuch und so begann ich in den ersten Tagen meiner Auszeit wieder mit dem Schreiben. Das war mein Anker, mein Rettungsring. Das Journaling hat mir nicht nur dabei geholfen, Trauer zu verarbeiten. Es hat mich auf meinen heutigen Weg als Autorin geführt. Ich durfte mich selbst besser kennenlernen und herausfinden, was ich wirklich möchte, wer ich wirklich bin.
Bis heute schreibe ich fast täglich. Meistens morgens, direkt nach dem Aufstehen. Manchmal schreibe ich auch mehrmals täglich, je nachdem, was gerade so los ist in meinem Leben. Dafür nutze ich unterschiedliche Techniken und Methoden, wie zum Beispiel die Morgenseiten oder Übungen, die ich in meinem „Journal to the Self“-Workshop vorstelle.
Journaling hilft uns, ungesunde Gedankenspiralen zu ordnen und aus Erfahrungen zu lernen, richtig?
Genau. Wenn wir schreiben, befreien wir das, was uns belastet, aus unserem Körper, aus unserem gesamten Energiesystem. Das hilft uns dabei, wieder Platz für neue Möglichkeiten zu schaffen. Wir bekommen Klarheit und werden dadurch ruhiger und gelassener. Außerdem formen wir dabei tatsächlich unser Gehirn um. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die belegen, dass unser Gehirn durch regelmäßiges Schreiben neue Nervenzellen bildet. Wenn wir durch das Schreiben schwierige Situationen bewältigen, wieder neuen Lebensmut finden, neue Ideen und einen positiven Blick auf das Leben erhalten, dann ist das nicht nur ein gutes Gefühl: Unser Körper richtet sich buchstäblich auf Neues und Positives aus. Das Schreiben verankert dies auf eine Weise, wie es im Denken allein nicht möglich wäre.
Unser Tagebuch ist also eine Sammlung aus verschiedensten Themen, die uns bewegen. Können wir diese als Inspiration oder Themenwelt für unsere Yogaklassen nutzen?
Da bin ich sicher. Ich denke, gerade in unruhigen Zeiten ist es hilfreich, sich vor der Yogastunde die Seele frei zu schreiben. Dazu brauchen wir gar nicht viel Zeit – außer, wir möchten sie uns bewusst nehmen. Schon fünf Minuten können reichen, um ein Gefühl der Erleichterung zu verspüren oder um herauszufinden, um was es gerade wirklich geht, was ich an diesem Tag vielleicht mit auf die Yogamatte nehmen, bearbeiten oder mir tiefgehender anschauen möchte.
Es kann schonmal herausfordernd sein, sich während des Unterrichts gewählt und möglichst konkret auszudrücken. Kann Journaling uns dabei helfen, ein besseres Gefühl für unsere eigene Sprache zu entwickeln?
Auf jeden Fall. Das Schreiben hilft uns dabei, unsere Gefühle und Gedanken auf dem Papier auszudrücken. Wir können plötzlich Dinge aussprechen, die wir sonst vielleicht nie jemandem gesagt hätten. Wir finden Worte für das, was uns bewegt und können im Tagebuch zuerst einmal „üben“ und prüfen, wie es klingt, was da so in uns vorgeht. Das kann sich positiv auf unseren Alltag übertragen und verbessert unsere Fähigkeit, uns mitzuteilen. Außerdem erhalten wir oft neue Inspiration. Denn ist der erste Ballast an kreisenden Gedanken erst einmal ans Papier abgegeben, tauchen aus der Tiefe oft ganz deutliche Impulse und Ideen auf, an die wir vorher nur schwer herangekommen wären. Das Schreiben kann also auch dabei helfen, neue Ideen oder Konzepte für den Yogaunterricht zu entwickeln.
Gibt es eine kleine Übung, mit der wir genau das vertiefen können?
Ich empfehle einen 5-Minuten-Sprint. Dabei stellen wir uns einen Timer auf fünf Minuten und beantworten zum Beispiel eine der folgenden Fragen. Diese Übungen kann man jederzeit mit den unterschiedlichsten Schreibimpulsen machen. Wichtig ist hierbei, dass wir den Stift nicht absetzen, sondern beginnen, ohne groß zu überlegen und ohne Unterbrechung schreiben, bis die Zeit vorbei ist. So überwinden wir unseren inneren Zensor und Kritiker und lassen unser Unterbewusstsein zu Wort kommen.
Mögliche Schreibimpulse wären: Wie fühle ich mich gerade? Was beschäftigt mich zurzeit am meisten? Was möchte ich heute mit auf die Yogamatte nehmen und mir genauer anschauen? Wenn ich heute etwas an meine YogaschülerInnen weitergeben könnte, wäre das…
Was ist dein Top-Tipp für jemanden, der jetzt gerne mit Journaling beginnen würde, es bisher aber nicht geschafft hat, in seine Routine zu finden?
Zum Start empfehle ich die Morgenseiten. Es gibt eine klare Vorgabe, der man zu Beginn folgen kann. Außerdem ist der Effekt morgens am stärksten spürbar, was einen dazu motiviert, dranzubleiben. Natürlich kann man die drei Seiten auch nachmittags oder abends füllen, wenn man morgens gar keine Zeit findet. Doch es lohnt sich, es auszuprobieren und bei sehr wenig Zeit zumindest mit einer Seite pro Tag zu starten. Diese fünf Minuten dürfen wir uns nehmen.
Am besten legt man Papier und Stift auf den Nachttisch und schreibt direkt im Bett nach dem Aufwachen. So ist auch garantiert, dass man sich nicht gleich vom Alltag ablenken lässt.
Dr. Joe Dispenza sagt „Wissen geht der Erfahrung voraus.“ Aus diesem Grund war es mir auch so wichtig, im Buch „Meine Morgenseiten“ über die Hintergründe der Psychologie des Schreibens zu berichten. Hintergrundwissen kann unser „Warum“ stärken, für die Dinge, die wir gerne tun möchten. Wenn wir also besser verstehen, welchen großen Effekt das Journaling auf unser Leben hat und warum das so ist, kann uns das motivieren, regelmäßig dranzubleiben.
Lieben Dank für deine Zeit und das schöne Interview.
Johanna Kramer
Johanna Kramer arbeitete einige Jahre im Vertrieb eines Großkonzerns, reiste beruflich viel durch die Welt und kündigte schließlich ihren Job, um sich auf die Suche nach ihrer Leidenschaft zu machen. Seit 2016 verfolgt sie ihren Traum, ist Schriftstellerin und zertifizierte Kursleiterin für Journaling Workshops.
„Bücher haben mir schon oft das Leben gerettet. Sie kommen nicht zufällig zu uns, sondern begegnen uns genau im richtigen Augenblick. Ich möchte die Menschen mit meinen Worten berühren. Wenn mir das gelingt, bin ich glücklich.“