Yoga bei Panikattacken und Angstzuständen – ein Erfahrungsbericht

Yoga bei Panikattacken und Angstzuständen – ein Erfahrungsbericht

Ein Gastbeitrag von Wiebke Martin

Wie positiv sich die Praxis auswirken kann und worauf du achten solltest

Mir ging es wie vielen anderen Yogis: Ich bin auch erst zu einer intensiven und täglichen Yogapraxis gekommen, als meine innere Verzweiflung sehr groß war. Geplagt von starken Angstzuständen und Panikattacken, die meinen Alltag massiv eingeschränkt haben. Ärzte, die Medikamente verschrieben, die Nebenwirkungen hatten und nur kurz geholfen haben. Es war meine innere Stimme, die mir sagte, dass ich nach jahrelanger Pause wieder mit Yoga beginnen müsse. Das Problem: Zu diesem Zeitpunkt war es für mich undenkbar, an einer offenen Yogaklasse teilzunehmen. Ich habe mich körperlich und psychisch zu schlecht gefühlt, weswegen ich konkret nach Privatstunden gesucht habe.

So intensiv und positiv wirkte die erste Yogastunde auf mich

Durch eine Empfehlung fand ich damals eine aus Indien stammende Yogalehrerin, die auch eine Ausbildung in Yogatherapie absolviert hatte. Die Chemie stimmte schon beim ersten Telefonat und ich erzählte ihr von meiner Problematik. Wir verabredeten uns zu einer ersten Privatstunde. Wir begannen ganz sanft und am Ende der Stunde hatte ich das erste Mal seit Monaten wieder das Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen: Kein Zittern in den Beinen und das Gefühl, so etwas wie innere Ruhe zu empfinden. Für mich grenzte das damals fast an ein Wunder und löste direkt ein unglaubliches Glücksgefühl aus.

Natürlich war dieses Gefühl zu diesem Zeitpunkt nicht von Dauer, denn Yoga ist vieles, aber kein „quick fix“, der über Nacht Heilung oder dauerhafte Besserung bringt. Ich wusste jedoch, dass ich dieses gute Gefühl wieder empfinden wollte und begann damit, zwei Mal pro Woche mit meiner Lehrerin zu üben. Zunächst lag unser Fokus auf Sonnengrüßen und Stehhaltungen. Wir stellten schon früh fest, dass Rückbeugen bei mir eine sehr konfrontative Wirkung hatten und mich zum Weinen brachten. Also wollten wir uns zunächst darauf konzentrierten, Kraft aufzubauen und die ein oder andere sanfte Rückbeuge nur kurz und unterstützt von Hilfsmitteln zu halten.

Trotz der Schwierigkeiten, die gewisse Asanas für mich während der Praxis mit sich brachten, war das Gefühl am Ende jeder Stunde unglaublich gut. Es war für mich keine Option, die Praxis wieder einzustellen. Im Gegenteil: Nach wenigen Wochen ging ich zu einer täglichen Yogapraxis über. Meine Lehrerin integrierte dann auch Meditation und Pranayama in den Unterricht. Bei mir funktionierte das gut; jedoch ist auch hier grundsätzlich Vorsicht geboten, wenn du unter Angstzuständen leidest oder Menschen mit Angstzuständen unterrichtest.

Sind Atemübungen für Menschen mit Panikattacken und Angstzuständen geeignet?

Atemübungen bringen dich nicht nur dem Atem, sondern auch dir selbst sehr nah. Du kommst in eine ganz andere Ebene des Spürens! Das kann bei Personen, die unter Panikattacken und Angstzuständen leiden, aber auch genau diese Symptome auslösen. Denn bei beidem spielt oftmals eine falsche Atmung eine große Rolle.

Aus diesem Grund ist es wichtig, langsam einen Bezug zum Atem herzustellen: Erst einmal durch einfache Atemwahrnehmungs-Übungen und erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Pranayama-Techniken, wie z.B. Kapalabhati.

In offenen Kursen hätte ich mir damals von Yogalehrenden mehr Sensibilität gewünscht. Oft wird bspw. Kapalabhati unterrichtet, ohne darauf hinzuweisen, dass es anfangs zu Schwindel oder dem Gefühl kommen kann, keine Luft zu kriegen. Yogalehrende kommen auch oft auf die TeilnehmerInnen zu und assistieren, indem sie ihnen die Hand auf den Bauch legen. Mein Wunsch wäre, dass in Betracht gezogen wird, ob der Teilnehmende das überhaupt möchte: Denn möglicherweise übt er nur deswegen nicht mit, weil die Übung Angst in ihm auslöst - und nicht, weil er die Übung nicht verstanden hat.

 

28 % leiden an psychischen Erkrankungen - so müssen wir als Yogalehrende reagieren

Als Yogalehrende müssen wir einen sicheren Raum für unsere TeilnehmerInnen schaffen. In Deutschland leiden einer Studie zufolge ungefähr 28 % der Menschen an einer psychischen Erkrankung, wie Angst, Depression oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Jeder kann sich selbst ausrechnen, wie hoch die Chance ist, Betroffene als TeilnehmerInnen im eigenen Kurs zu haben, ohne dass man davon weiß.

Inzwischen bin ich selbst Yogalehrerin und versuche, meine Erfahrungen in meinem Unterricht weiterzugeben bzw. als Unterrichtende selbst zu beachten.

Ich lege in meinem Unterricht großen Wert darauf, die Teilnehmenden zu ermuntern, wirklich auf ihre körperlichen Signale zu hören und nur so weit in eine Haltung zu gehen, wie es sich für sie gut anfühlt. Dazu leite ich oftmals in kleinen Schritten an. Auch finde ich es wichtig, auf die eventuell konfrontative Wirkung von Rückbeugen hinzuweisen. Ich verbinde das auch immer mit dem Hinweis, dass die Teilnehmenden die Haltung sofort wieder verlassen können, wenn sie sich unwohl fühlen.

Erst kürzlich hat mir eine unter PTBS leidende Bekannte erzählt, dass sie von ihrer Psychotherapeutin in einen Yogakurs geschickt wurde. Sie ahnte nicht, dass der Fokus der Stunde auf Rückbeugen liegen würde und was diese bewirken können. Sie erzählte mir, dass die Yogastunde zu einem ganz schrecklichen Erlebnis für sie wurde. Solche Erfahrungsberichte tun mir in der Seele weh, weil sie so unnötig sind und Menschen, für die Yoga so viel Gutes bewirken könnte, den Zugang erschweren.

Ich nahm mir die Zeit, ihr meine Erfahrungen und die Wirkung der Asanas zu erklären. Sie hätte sich gewünscht, dass die damalige Lehrerin dies zu Beginn der Stunde auch getan hätte. So sei sie einfach nur schockiert gewesen, was diese Asanagruppe, die uns sehr in unserer Verletzlichkeit zeigt, bei ihr ausgelöst hatte.

6 Tipps, wenn du unter einer psychischen Erkrankung leidest und mit Yoga beginnen möchtest

Wenn du unter Angstzuständen oder Panikattacken leidest und gerne mit Yoga beginnen würdest, aber dir nicht vorstellen kannst, offene Klassen zu besuchen, würde ich dir Folgendes aus meiner eigenen Erfahrung heraus empfehlen:

1. Finde Yogalehrende mit einer Zusatzausbildung in Yogatherapie oder traumasensiblem Yoga.

2. Beginne mit Einzelstunden oder in einer Kleingruppe.

3. Wenn Privatstunden dich finanziell abschrecken, kannst du das ruhig ansprechen: Meiner Erfahrung nach werden die meisten Yogalehrenden dir preislich entgegenkommen.

4. Setze dich nicht unter Druck und lass es langsam angehen: Übe lieber kurz und regelmäßig als intensiv, aber nur ein Mal pro Woche.

5. Übe am Anfang nur wenige Minuten Pranayama und Meditation.

6. Mantras können ein guter Einstieg in die Meditation sein, da du dich statt auf deinen Körper oder deine Atmung auf das jeweilige Mantra konzentrierst.

4 Tipps, wenn du Yoga in offenen Klassen unterrichtest

1. Gehe im Rahmen der Asanapraxis kurz darauf ein, wie bestimmte Haltungen (z.B. Rückbeugen) wirken können und weise die Teilnehmenden darauf hin, dass sie diese jederzeit verlassen können.

2. Sei zurückhaltend mit Hands on-Assists, wenn du merkst, dass Widerstände da sind, tiefer in die Haltung zu gehen.

3. Verzichte auf Hands-on Assists bei Pranayama wie Kapalabhati. Erkläre die Atemübungen lieber detailliert und ermutige die Teilnehmenden dazu, Pausen einzulegen, wenn es zu viel für sie wird.

4. Statt ganz selbstverständlich davon auszugehen, dass es jedem Teilnehmenden leicht fällt, die Augen zu schließen, kannst du sagen: „Schließe deine Augen, wenn du magst. Halte alternativ deinen Blick gesenkt und auf einen Punkt vor dir auf dem Boden ausgerichtet.“ – mit diesen Cues gibst du Teilnehmenden, die unter psychischen Erkrankungen wie Angst und PTBS leiden, zu verstehen, dass es völlig okay ist, nicht mit geschlossenen Augen sitzen zu können. Du lädst sie stattdessen dazu ein, Akzeptanz zu üben.

Meiner Meinung nach sollte das Kreieren eines Safe Space für die Teilnehmenden in unseren Yogaklassen oberste Priorität haben. Sie sollten sich aufgehoben und unterstützt fühlen. Yoga kann auf so vielen Ebenen bei psychischen Erkrankungen und in Krisensituationen helfen und unterstützen. Jedoch ist es an uns Yogalehrenden, dieses jahrtausendealte ganzheitliche System auch Menschen zugänglich zu machen, für die es nicht selbstverständlich ist, ihr Herz im Rad Richtung Himmel zu öffnen oder mit geschlossenen Augen zu meditieren. Denn nur dann werden wir es erreichen, dass immer mehr Menschen den Weg nach innen beschreiten und inneren Frieden erfahren. Und das dient schlussendlich unser aller Miteinander.

 

Wiebke Martin

Wiebke unterrichtet klassisches Hatha sowie modernes Vinyasa und Yin Yoga. Für sie selbst ist Yoga ein nicht wegzudenkender fester Bestandteil ihres Alltags: Das umfasst Asanas, aber auch Pranayama und Meditiation. Sie ist überzeugt davon, dass Yoga dich physisch und psychisch stärkt und dir in Krisenzeiten Kraft und Ruhe schenkt. Die Hoffnung, anderen Menschen die vielfältige Wirkungsweise von Yoga näherzubringen und sie dabei zu unterstützen, in schwierigen Lebenssituationen Stabilität, Kraft und innere Ruhe zu finden, hat sie dazu bewogen, Yogalehrerin zu werden. Dabei legt sie Wert auf einen Unterricht gänzlich ohne Dogma. Alle Teilnehmenden sollen beim Yoga ihre eigenen Erfahrungen machen und für sich selbst herausfinden, wie Yoga ihr Leben bereichern kann.

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